Pferde haben ein bemerkenswertes Gedächtnis. Ihr Lernverhalten und ihre Fähigkeit, sich zu erinnern, beruhen auf einer Kombination aus biologischen, chemischen und theoretischen Mechanismen. Diese ermöglichen es ihnen, Umweltreize zu verarbeiten, Erlerntes zu speichern und wieder abzurufen. Aber wie funktioniert das Gedächtnis unserer Pferde genau?
Gedächtnisstruktur und Lernen bei Pferden
Das Gedächtnis von Pferden kann in drei Haupttypen unterteilt werden:
1. Ultrakurzzeitgedächtnis: Informationen werden für wenige Sekunden gespeichert. Dies hilft dem Pferd, auf unmittelbare Reize zu reagieren.
2. Kurzzeitgedächtnis: Hier bleiben Informationen für Minuten bis Stunden erhalten. Es ist entscheidend für das Verknüpfen von Reizen und Reaktionen.
3. Langzeitgedächtnis: Informationen werden über Wochen, Monate oder sogar ein Leben lang gespeichert. Positive wie negative Erfahrungen können nachhaltig Einfluss auf das Verhalten des Pferdes nehmen.
Die Konsolidierung im Langzeitgedächtnis ist ein zentraler Prozess, durch den Informationen, die zunächst im Kurzzeitgedächtnis gespeichert wurden, in das Langzeitgedächtnis überführt werden.
Konsolidierung ermöglicht es, Erinnerungen stabil und abrufbar zu machen. Dabei gibt zwei Hauptphasen:
• Synaptische Konsolidierung: Diese erfolgt innerhalb von Minuten bis Stunden nach dem Lernen. Veränderungen an den Synapsen (den Verbindungsstellen zwischen Nervenzellen) sorgen dafür, dass die Informationen verstärkt in den neuronalen Netzwerken verankert werden.
• Systemische Konsolidierung: Sie findet über Tage bis Monate statt und verlagert Erinnerungen von temporären Speichern wie dem Hippocampus in dauerhafte Bereiche des Gehirns, wie die Großhirnrinde.
Wichtig für die Konsolidierung sind Zeit, Pausen und auch der Schlaf. Insbesondere im Tief- und REM-Schlaf werden neu erlernte Inhalte wiederholt und in das Langzeitgedächtnis eingebettet.
Chemische und biologische Grundlagen des Lernens
Lernen und Gedächtnis bei Pferden sind eng mit biologischen Prozessen im Gehirn verbunden:
• Synaptische Plastizität: Lernen geschieht durch Veränderungen an den Synapsen, den Kontaktstellen zwischen Nervenzellen. Verstärkungen dieser Verbindungen, bekannt als "Long-Term Potentiation" (LTP), sind der Schlüssel zu dauerhaften Erinnerungen.
• Botenstoffe und Neurotransmitter: Substanzen wie Dopamin und Glutamat sind entscheidend. Dopamin ist besonders wichtig für Motivation und positive Verstärkung.
• Hippocampus: Dieser Bereich im Gehirn steuert das Langzeitgedächtnis und die räumliche Orientierung. Er hilft dem Pferd, Orte, Objekte und Erlebnisse zu speichern.
• Stresshormone: Cortisol, das bei Stress ausgeschüttet wird, beeinflusst das Gedächtnis. Moderate Mengen fördern das Lernen, während chronischer Stress es behindern kann.
Lernmechanismen im Training
Pferde lernen hauptsächlich auf zwei Arten:
1. Assoziatives Lernen
Hierbei werden Reize miteinander verknüpft und das Verhalten wird durch Konsequenzen geformt. Dazu gehören:
• die klassische Konditionierung, bei der zum Beispiel ein neutraler Reiz mit einem unbedingten Reiz (zum Beispiel Belohnungen) gekoppelt, sodass der neutrale Reiz eine konditionierte Reaktion auslöst
• die operante Konditionierung, bei der ein Verhalten durch Konsequenzen (Belohnung und Bestrafung) beeinflusst wird. Positive Verstärkung (z. B. durch Belohnungen) und negative Verstärkung (z. B. durch Druckabbau) spielen hier eine zentrale Rolle. Mehr Informationen dazu findest du im Blogbeitrag "Wie belohnen wir Pferde richtig?".
Das assoziative Lernen wird im Training angewandt, um gewünschte Verhaltensweisen zu fördern oder unerwünschte zu reduzieren.
2. nicht-assoziatives Lernen
Dabei wird die Reaktion auf einen einzelnen Reiz verändert, ohne, dass eine Verknüpfung mit anderen Reizen oder Konsequenzen stattfindet. Dazu gehören:
• die Gewöhnung/Habituation an einen Reiz, der wiederholt auftritt, sodass die Reaktion darauf abnimmt (z. B. reagiert das Pferd weniger auf ein flatterndes Band)
• die Sensibilisierung, bei der eine verstärkte Reaktion auf einen Reiz angestrebt wird (z. B. eine empfindlichere Reaktion auf eine Hilfe)
Das nicht-assoziative Lernen ist insbesondere bei der Gewöhnung an Umweltreize und die Verfeinerung in der Kommunikation zwischen Pferd und Mensch relevant.
Weitere Lernformen, die im Training eine Rolle spielen, und einen kleinen Exkurs in das Lernverhalten findest du im Blogbeitrag "Wie Pferde lernen".
Wichtige Faktoren für erfolgreiches Lernen
Emotionale Sicherheit: Pferde lernen besser in einer stressfreien Umgebung. Angst und Stress blockieren das Gedächtnis und hemmen den Lernprozess.
Wiederholungen und Pausen: Regelmäßige Wiederholungen, kombiniert mit ausreichenden Pausen, unterstützen die Konsolidierung im Langzeitgedächtnis.
Positive Verstärkung: Belohnungen schaffen eine positive Verbindung zu Aufgaben und fördern die Lernbereitschaft.
Individuelle Anpassung: Jedes Pferd hat ein eigenes Tempo und bevorzugte Lernmethoden. Diese zu erkennen und anzupassen, ist essenziell.
Diese Faktoren gelten übrigens auch für uns Menschen. Genau deshalb ist es uns auch in der Ausbildung unserer Pferdeverhaltenstrainer sehr wichtig, einen motivierenden, wertschätzenden Umgang zu unseren Azubis zu pflegen.
Mit Köpfchen trainieren
Das Gedächtnis und die Lernfähigkeit von Pferden sind faszinierend und von vielen Faktoren abhängig. Mit dem Wissen über die biologischen und chemischen Grundlagen können wir Trainingseinheiten effektiver und pferdegerechter gestalten. Indem wir auf das individuelle Lerntempo und die Bedürfnisse unserer Pferde eingehen, schaffen wir Vertrauen und fördern eine nachhaltige Beziehung. Stressfreie Lernumgebungen, positive Erfahrungen und gezielte Wiederholungen sind der Schlüssel, um das volle Potenzial unserer Pferde zu entfalten.
Hier wird weiter gelernt:
In meinem Buch "Mein Pferd kann's!" findest du neben der Theorie kreative Aufgaben, um das Lernen deines Pferdes erfolgreich zu fördern.